Der Segen in der Dunkelheit

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Es war an dem Tag, an dem ich den schlimmsten Hagelsturm meines Lebens bezeugte, als ich mir über dieses Thema Gedanken machte. Der Himmel hatte in einer Plötzlichkeit seine Schleusen geöffnet, um in brutaler Heftigkeit tischtennisballgroße Hagelbälle auf die Erde zu schleudern. Sie prallten auf meinen Balkon und schlugen in einer Härte auf die Fensterscheiben ein, dass ich Sorge hatte, Letztere würden den Druck nicht überleben. Es war fürwahr ein übles Spektakel. Und es beförderte mich augenblicklich ins Jetzt, um mir neuerlich eine Lektion des Loslassens zu bescheren. Eine, in der man ohnmächtig den Kräften im Außen zusieht, und hofft, dabei unversehrt zu bleiben.

Als der Zorn des Himmels abgeflaut war, flutete das Wasser weiterhin die Straßen, die Feuerwehr fuhr ihre Einsätze, und die Sonne zeigte sich versöhnlich am Firmament. Es war Ruhe eingekehrt. Und ganz sicher gab es ihn irgendwo: den Regenbogen.

Wir sind in einer Zeit der Läuterung angekommen. Einer globalen und kollektiven Läuterung. Es geht um Reinigung. Klärung. Transformation. Und um eine Balance der Kräfte. Eine, in der man die Dunkelheit in ihrer konstruktiven Form akzeptiert, weil sie über die Nächte wacht, und in der man das Licht willkommen heißt, weil es über den Tag gebietet. Die Naturgewalten zeigen uns derzeit in aller Deutlichkeit, was individuell wie kollektiv vonstatten geht.

Wir neigen als Menschen dazu, Vorlieben zu haben. Die Freude empfinden wir um so vieles angenehmer als die Traurigkeit. Das Licht um so vieles schöner als den Schatten. Den Frieden um so vieles wertvoller als Krieg. Zumindest fühlen das vor allem jene Menschen, die ein intaktes Herzchakra haben. Ich zähle mich dazu. Und dennoch lerne ich in diesen turbulenten Zeiten, wie wichtig und notwendig es ist, aus der Bewertung der Dinge auszusteigen, weil wir aus einer höheren Perspektive betrachtet, nicht wissen können, was tatsächlich gut ist. Und ob nicht gerade das Dunkel uns Menschen dazu verhilft, die Erkennens-Prozesse einzuleiten, um schließlich das Licht als die einzige und ultimative Wahrheit annehmen zu können.
Kann dann das Dunkel noch verurteilt werden?

Wo viel Licht, da viel Schatten. Die lichtvollsten Wesen, die auf dieser Erde wandelten, haben große Dunkelheit konfrontieren dürfen. Wenn sie siegreich blieben, dann deshalb, weil sie die Illusion der Schatten durchschaut haben und eine schier übermenschliche Gabe der Vergebung in sich trugen. Ihre Liebe zum Menschen war so tief, dass sie allen Schmerz über die menschliche Ignoranz transzendieren konnten. Diese Menschen haben den Aspekt des Göttlichen in seiner Vollendung in das irdische Dasein gebracht. Und bis heute inspirieren uns diese Mahatmas, diese Große Seelen, mit ihrer Lebensweise, ihren Werten, ihren Prinzipien, die allesamt ein hohes Ethos verkörperten.

Wir sehen im Außen allerdings immer, was wir von uns SELBST kennen. Es muss also ein intuitives Wissen darum geben, SELBST eine Große Seele zu sein. Wie sonst könnten wir sie wahrnehmen? Jeder Mensch ist ein Kind der Schöpfung, kommt aus derselben Quelle und trägt somit den göttlichen Kern in sich, der den Menschen hinter die Schleier der Illusion zu blicken hilft, um das Licht als einzige Wahrheit zu erkennen. Ob wir diese Erkenntnis gewinnen und sie erfolgreich in unser Leben übertragen, hängt von der Bereitschaft des Einzelnen und seinem Willen zu Wachstum ab.

Ich habe kürzlich ein kleines Video zu genau diesem Thema gesehen und hatte zunächst keine Ahnung, worum es in dem Beitrag ging. Auf dem Beitragsbild sah ich das Gesicht eines Schwarzen, dem Tränen über die Wangen rannen. Und die Überschrift lautete: „The Heartbreaking Story Of How This Man Learned What Love Is” (Die herzzerreißende Geschichte eines Mannes, der erfährt, was Liebe ist): https://theunboundedspirit.com/what-love-is/

Wenn es darum geht, einen Beitrag auf Facebook anzuklicken, dann spüre ich, ob meine Seele mit dem Inhalt in Resonanz geht. Meist ist auf meine Intuition Verlass. Der Mann begann seine Geschichte zu erzählen. Ich hörte ihm zu. Und während er erzählte, wie sein Stiefvater ihn in seiner Kindheit schwerst misshandelt hatte, spürte ich eine bemerkenswerte Ruhe und Kraft, die von diesem Mann ausging. Ich fühlte, wie geerdet er war. Wie versöhnt er schien. Es beeindruckte mich. Ich lauschte seiner Geschichte weiter. Er erzählte, dass ihm derselbe Stiefvater während der Misshandlungen sagte, dass es ihm selber mehr weh tat, ihn zu strafen, und dass er es aus dem alleinigen Grund tat, weil er seinen Stiefsohn liebte.

Der Mann erzählte weiter, dass er also mit einem „falschen“ Bild von Liebe aufwuchs. Liebe musste weh tun und er maß das Ausmaß seiner Liebe in den Folgejahren daran, wie viel Schmerz er jemanden zumuten und wie viel davon der andere ertragen konnte. Er tat all jenen weh, die er liebte. Bis zu dem Tag, da er zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, weil er eine Frau und deren Kind ermordet hatte. Dieses schwerwiegende Vergehen katapultierte ihn in eine noch größere Dunkelheit hinter Gefängnismauern. (Wenn man genau hinhört, vernimmt man das quietschende Schließen von Zellen im Hintergrund.) Und doch war es gerade hier in dieser trostlosen und ausweglosen Umgebung, in der er seine berührendste Erfahrung von Liebe machen durfte.

Es war die Großmutter des Kindes und die Mutter der Frau, die er ermordet hatte, die zu ihm ins Gefängnis kam und den Menschen in ihm sah, unabhängig von der Tragödie, den Gegebenheiten und Tatsachen. Und die ihm nach einer gemeinsamen „Reise“ zeigte, was Liebe war. Jene Frau, die ihn eigentlich hätte hassen müssen.
Als der Mann es erzählte, rannen Tränen über seine Wangen. Und ich fühlte, dass ich es ihm gleich tat. Ich war tief berührt und ließ die Tränen fließen.

Es braucht keine Worte, um die Größe dieser Frau zu fühlen. Das Ende dieses Videos sagt alles aus. Sie ist eine Mahatma, eine Große Seele, die sich in dem verletzten Mann, einem Mörder, spiegeln durfte. Es scheint übermenschlich, was hier passiert war. Und dennoch. Wenn eine Frau und ein Kind „geopfert“ wurden, damit ein verletzter Mann der Liebe begegnen konnte … und wenn die Tränen dieses Mannes andere Menschen, so wie auch mich berühren … und wenn viele Menschen dieses Video sehen und sich berühren lassen … findet dann nicht Heilung auf ganz tiefer Ebene statt? Wird dann nicht aller Schmerz der verletzten Kinder, der in den Erwachsenen weiterlebt, umarmt? Und ist dann die Dunkelheit der Menschheit nicht zum Segen geworden?

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Der Einzelne möge seine Antwort finden. Nur mit dem Herzen fühlt man sie in ihrer Wahrheit.